Wie wir vorgegangen sind

Michael beschäftigt sich seit Jahren mit illegalen Müllhalden. Steffi hat für ZDFwiso GPS-Tracker in Elektroschrott verbaut und verfolgt, wo kommunale Recyclinghöfe sie hinbringen. In einem Workshop an der Reportageschule Reutlingen lernten sie sich kennen und Michael nahm Steffi auf eine Halde in Thüringen mit.

Ein Telefonat mit dem Umweltbundesamt ergab: Es gibt offenbar bisher keine deutschlandweite Übersicht über illegale Müllhalden. Denn es ist föderalistisch fisselig. Müll ist Ländersache und jedes Bundesland macht es anders. Mal sind die Landkreise zuständig, mal die Gemeinden, mal das Landesumweltministerium, manchmal auch sogenannte Struktur- und Genehmigungsdirektionen. Erste Station war also zunächst: Zuständigkeiten in Erfahrung bringen.

 

Dann kam der härteste Teil: 417 Anfragen zu verschicken - nämlich an 401 Landkreise und 16 Landesumweltministerien. Das klingt zunächst nach Copy & Paste, doch in der Realität erhielten wir dann erstmal eine Menge Abwesenheitsnotizen, die zu neuen E-Mails führten. Rückfragen, Telefonate oder Ablehnungsbescheide, Widerspruchsschreiben und teils mehrfaches Nachhaken. Schnell war klar: Unterstützung muss her. So kam Viktoria dazu.

 

Durch die föderale Kleinteiligkeit entsteht eine gewisse Inkonsistenz in den Infos, denn die Behörden arbeiten total unterschiedlich. Manche haben uns sehr bereitwillig sehr viele Infos gegeben und waren froh, dass sich jemand des Themas annimmt. Herr Ueckert, Stadtverordneter aus Barnim, hat uns sogar auf die Halde in seinem Zuständigkeitsbereich mitgenommen.

 

Andere haben uns gar keine Infos gegeben. So argumentiert zum Beispiel der Saale-Orla-Kreis unsere Anfrage sei eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit". In einem Fall bekamen wir sogar eine Falschauskunft. Dieselbe Person, die mit Steffi über eine Müllhalde geschrieben hatte, auf der wir waren, gab Michael die Auskunft, es gebe dort keine. In diesem Fall konnten wir die Falschauskunft erkennen und haben nach sechs Mails hin und her eine hoffentlich zutreffende Auskunft bekommen.

 

 

Das alles heißt: Nur weil irgendwo keine Halde verzeichnet ist, heißt das nicht, dass es dort definitiv keine gibt. Also: Mach mit! Wenn du eine gewerbliche illegale Müllhalde über 100 Tonnen kennst, melde sie uns und wir gehen dem nach. 

 

Wichtig ist dabei: Es geht nicht um kleine Mengen Privatmüll im Wald oder um richtige Deponien, sondern um eine Form von Wirtschaftskriminalität.

 

 

§28 Abs. 1 Satz 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz besagt: "Abfälle dürfen zum Zweck der Beseitigung nur in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen (Abfallbeseitigungsanlagen) behandelt, gelagert oder abgelagert werden." Und nach § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist das Betreiben einer illegalen Müllhalde eine Straftat: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine genehmigungsbedürftige Anlage oder eine sonstige Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, deren Betrieb zum Schutz vor Gefahren untersagt worden ist (...) betreibt".

 

Ein großer Teil unserer Arbeit bestand daraus, Presseartikel auszuwerten und über Satellitenbilder zu scrollen, um die dort erwähnten Halden zu finden. Manche sind zugewachsen und auf den ersten Blick nicht zu erkennen, zum Beispiel diese über 100 Tonnen Klärschlamm an einem Feldweg in Rodleben (Dessau-Roßlau):

Außerdem hatten wir viel Arbeit damit, dass die Ortsangaben in unterschiedlichen Koordinatensystemen verfasst waren. Manche Landkreise schickten uns die Angaben im Gauß-Krüger-System, andere in UTM: Um sie auf Google Maps zu finden, brauchten wir sie aber in WGS84.

 

Das gleiche Problem hatten wir bei den Maßeinheiten Kubikmeter und Tonnen. Um eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir alles in Tonnen umgerechnet. Dabei haben wir uns an dieser Hilfestellung vom Bayerischen Landesamt für Statistik orientiert.

https://www.statistik.bayern.de/service/erhebungen/bauen_wohnen/abfall/abfallarten/index.php

 

Eine gewisse Unschärfe gibt es dabei: Die Gewichtung der einzelnen Abfallarten kannten wir in manchen Fällen, in anderen nicht. Auch die Behörden selbst können oft nicht vor der Räumung genau benennen, wie hoch der Anteil von nicht spezifikationsgerechtem Kompost im Vergleich zum Kunststoff oder Sperrmüll auf einer einzelnen Halde ist.

Insgesamt haben wir von Dezember 2021 bis Juni 2022 Daten erhoben. Michael hatte zudem noch eine Bestandserfassung des Landes Brandenburg von 2008 sowie Daten aus den Jahren 2016 bis heute, die wir aktualisiert haben.

Nehmt ihr auch Privatmüll im Wald in die Karte auf?

Das ist ein großes Ärgernis, aber hier haben wir uns ausschließlich auf gewerbliche Müllhalden mit einer Größe von über 100 Tonnen konzentriert.

Kann man Müll nicht durch Verbrennung zu Cash machen?

Bei thermischer Verwertung verdient der Betreiber der Müllverbrennungsanlage. Den Anlieferer kostet es. Deshalb hoffen viele Kommunen auf einen Investor, der dort zum Beispiel einen Solarpark oder Wohnungen baut und deshalb die Müllberge auf eigene Kosten beseitigt.


Warum können die Landkreise diese Halden nicht einfach räumen?

Die Landkreise stehen bei der Räumung vor enormen Herausforderungen. Bevor die Behörden tätig werden dürfen, müssen sie den gesamten Rechtsweg abschreiten. Das kann sich über Jahre ziehen. Manchmal sind die Verursacher auch über alle Berge und nicht erreichbar. Das erfordert Personal, das häufig nicht da ist.

Wie kommt's überhaupt dazu?

Häufig wurden die Halden ursprünglich als Lager genehmigt, also ohne Vorkehrungen, wie eine reguläre Deponie sie benötigt, zum Beispiel eine Abdichtung nach unten oder Sickerwasserreinigung. Ein häufiger Fall: Die Firmen melden Insolvenz an, die Entsorgungskosten übersteigen ihre Möglichkeiten oder der Betreiber macht sich gleich ganz aus dem Staub. Die Finanzierung der Entsorgung bleibt ungeklärt.

 

Es laufen z.B. Gerichtsverfahren, weil Kommunen sich darum streiten, auf wessen Gebiet die Müllablagerung genau liegt. So lange werden die Halden "gesichert", sprich: Bauzaun oder Schloss davor.


Wenn es so viele Halden gibt, warum hab ich noch nie eine gesehen?

Viele illegale Müllhalden sind an Landstraßen außerhalb von Ortschaften, auf ehemaligem Firmengelände oder in Tongruben. Häufig ist auch bereits Gras über die Ablagerungen gewachsen, und so ist zum Beispiel eine Klärschlammablagerung gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen.

Was ist daran überhaupt so schlimm?

Je nach Müll befinden sich in den Haufen viele giftige Stoffe. In der Halde in Bernau wies ein Gutachten im Auftrag des LKA und des Landesumweltamts Brandenburg zum Beispiel Nickel, Antimon, Arsen, Blei, Chrom, Kobalt, Kupfer, Molybdän und Nickel nach. Reguläre Deponien haben deshalb nach unten hin eine Abdichtung und eine Sickerwasserdrainage, damit solche Schadstoffe nicht ins Grundwasser fließen. Nach oben gibt es normalerweise ebenfalls eine Abdeckung, damit kein Regenwasser reinfließt und damit keine Gase austreten, zum Beispiel Methan und Kohlendioxid. Das alles haben die irregulären Müllhalden nicht. Sie sind deshalb eine potenzielle Gefahr für die Umwelt.

 

Die Entsorgung bezahlt außerdem oft der Steuerzahler, also jeder und jede von uns. Die Sanierung der Halde in Schlunckendorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark hat zum Beispiel 5,5 Millionen Euro gekostet. Darüber hat der Verursacher (der "Müllbaron" aus Brandenburg) auch eine Rechnung erhalten, aber: Er hat bereits zum zweiten Mal Privatinsolvenz angemeldet. In solchen Fällen ist es den Behörden nicht mehr möglich, den Verursacher heranzuziehen. Sie können sich dann noch an den Grundstücksbesitzer wenden, aber wenn der auch ausfällt oder es sich um öffentlichen Grund handelt, bleibt niemand mehr übrig außer den Steuerzahler:innen.


Warum sind Bayern und Baden-Württemberg so leer?

Gute Frage. Wir haben alle Landratsämter und Regierungspräsidien in Ba-Wü sowie alle Landratsämter in Bayern gefragt. Viele haben geantwortet, dass sie keine illegalen Halden haben oder haben auch auf Nachfrage nicht geantwortet. Wir haben aber in Presseartikeln zum Beispiel eine Halde in Passau gefunden und haben die Vermutung, dass Bayern nicht ganz so clean ist, wie es auf der Karte erscheint. Du kannst uns dabei helfen, wenn du ungenehmigte Abfallager in Bayern oder Baden-Württemberg kennst, die nicht auf unserer Karte sind :-)